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journalistische Seite von Sofie Stenzhorn

Königswinter, 15.09.2023

Aus 2016
Während einer Unterhaltung in einem Forum sagte ich einmal, mehr Scherzhaft:
„Pass bloß auf, Mädel.“
Da hatte ich aber in ein Wespennest gestochen, aber voll. Als Faschistin wurde ich bezeichnet, als Nazi, dass ich keine Ahnung hätte von Faschismus usw. Ich war geschockt, meinte ich doch einen harmlosen Begriff benutzt zu haben. Da wurde mir aber nachdrücklich erklärt, die Nazis hätten das Wort beim Namen „Bund Deutscher Mädel“ benutzt und es wäre deshalb ein Naziwort, ein faschistischer Begriff.
Sie hatten damit aus ihrer Sicht einen guten Angriffsgrund, mobbten sie mich doch schon seit Jahren. Der Ethymologische Duden sagt dazu auf Seite 432, 2. Absatz rechts: Mädel: Das Wort, das vom Oberd. ausgehend gemeinsprachliche Geltung erlangte und die längere Form „Mägdlein“ zurückgedrängt hat, ist – wie auch Mädchen (s.d.)- Verkleinerungsbildung zu >Magd.
Da nehmen die Nazis für einen Namen ein altes deutsches Wort und dann wird es zum Nazibegriff und darf nicht mehr verwendet werden?
In einem Gespräch auf dem Sender „Vox“ spricht der Philosoph und Soziologe Oskar Negt von Minute 27:06 bis  31:04  über „Entehrung der Begriffe“ – wo er deutlich macht wie falsch es ist, diese Begriffe, die von Nazis geraubt wurden, nicht mehr zu benutzen, da die Begriffe ein Anrecht haben, ihre Originalgeschichte festzuhalten.
Oskar Negt über Hegel
In einem Interview in der Süddeutschen vom 17. Mai 2010 spricht der Sprachforscher  Thorsten Eitz über missbrauchte Worte (http://www.sueddeutsche.de/kultur/nazi-worte-im-sprachgebrauch-maedel-verpflichtet-1.573966-2).
sueddeutsche.de: „Es hat also zugenommen, dass sich Politiker gegenseitig als Nazis beschimpfen?“
Eitz: „Das ist absolut inflationär. Der NS-Vergleich ist die treffsicherste Variante, öffentliche Aufmerksamkeit zu erzielen. Sowohl die attackierten Gegner als auch Journalisten reagieren reflexartig und empört. So läuft das immer weiter. Vom Pseudo-Autobahn-Vergleich einer Eva Herman bis zu Faruk Sen (Direktor des Zentrums für Türkeistudien in Essen; Anm. d. Red.) und seinem Ausspruch, Türken seien die neuen Juden.“
sueddeutsche.de: „Wir befinden uns also gerade auf dem Höhepunkt der gegenseitigen Nazi-Beschimpfungen?“
Eitz: „Das habe ich schon im vergangenen Jahr gedacht. Dann kam aber erst die richtig große Welle.“
sueddeutsche.de: „Was war für Sie der unangebrachteste Vorfall?“
Eitz: „Das war neben dem Ausspruch von Faruk Sen Guido Knopp, wie er Tom Cruise mit Goebbels Rede im Sportpalast vergleicht. Absolut an den Haaren herbeigezogen. Aber es funktioniert immer noch.“
Natürlich gibt es Wörter, die no-go-Begriffe sind, wie z. B. „Sonderbehandlung“, wohinter der Mord an Menschen verschleiert wurde – könnte man denken.
In dem Buch:  „Patentschutz für medizinische Verfahrenserfindungen im europäischen … von Anne Sophie Wolfrum“ wird folgendes geschrieben:
„Um eine patentrechtliche Sonderbehandlung medizinischer Verfahren zu rechtfertigen, gilt es, in der Fülle der für und wider Patentschutz für medizinische Verfahren vorgebrachten Argumente grundsätzlich zu unterscheiden, welche Bedenken sich tatsächlich spezifisch auf medizinische Verfahren beziehen und welche Vorbehalte medizinisch relevante Erfindungen generell oder gar Patentschutz im allgemeinen entgegengebracht werden.“
Auch das ist also einfach ein Wort, vielfach zu benutzen.
Dadurch, dass wir uns von Nazis Begriffe rauben lassen, geben wir ihnen Macht über uns. Z. B. die Macht, dass andere uns aufgrund eines Wortes in die rechte Ecke stellen, die Macht, uns zu spalten, die Macht, von inhaltlichen Reden durch Konzentration auf ein Wort, irgendwann von den Nazis benutzt, aber mit langer Geschichte vor den Nazis, abzulenken.
Sie haben also dadurch die Macht, zu steuern, wie ernst wir wann genommen oder nicht genommen werden. Das o. g. Beispiel zeigt mehr als deutlich, dass Worten die Nazibedeutung genommen werden kann.
Auch SystemXXX ist für manche ein Reizbegriff. System als solches kritisiert ja niemand, immerhin haben wir ein politisches und ein wirtschaftliches System, das soziale, bei dem der Arbeitsmarkt eine entscheidende Rolle spielt, ist nur noch rudimentär zu finden.
Trotzdem unterstellen manche Nähe zu Nazis, wenn man das Wort System erweitert. Systemparteien wird dazu gerne benutzt.
„https://de.wikipedia.org/wiki/System_%28Nationalsozialismus%29
System (Nationalsozialismus)
Nationalsozialisten bezeichneten mit dem Begriff System im verächtlichen Sinne die Weimarer Republik[1] und – in Österreich – den austrofaschistischen „Ständestaat“ unter Engelbert Dollfuß und seinem Nachfolger Kurt Schuschnigg.
Abwertend und verächtlich gemeint war Systemzeit ein weitverbreiteter Begriff, mit dem die Nationalsozialisten im Deutschen Reich die Zeitspanne von 1918 bis zur „Machtergreifung“ 1933 beschrieben. In Österreich wiederum wurde der Begriff für die Zeit vom Betätigungsverbot der NSDAP im Juni 1933 bis zum „Anschluss“ 1938 verwendet. Weitere Komposita wie zum Beispiel Systempartei, Systempolitiker, Systembeamter oder Systempresse waren im Sprachgebrauch der Nationalsozialisten gängig.“
Systematisch vorgehen ist bei Recherchen ganz wichtig.
Eigentlich dürften wir das Wort „System“ überhaupt nicht mehr benutzen. Die Nazis haben es in verschiedenen Variationen gebraucht.
Aber natürlich wird es weiter benutzt und das mit Berechtigung, ist es doch ein, laut etymologischem Duden, Seite 731, rechte Seite,  seit dem 18. Jahrhundert bezeugtes Fremdwort, in verschiedenen Bereichen, in verschiedenen Zusammensetzungen.
Auch die Nazis haben eben einige Begriffe mit System im Zusammenhang ihrer Zeit benutzt.
Und manche Zusammensetzungen, die konkret auf die damaligen Verhältnisse benutzt wurden, kann man heute auch in Bezug auf die heute herrschenden Verhältnisse gebrauchen, was spricht dagegen?
Wörter negativ belegt zu lassen verhindert Kommunikation, denn wie schnell bewertet man Menschen nach der Äußerung eines Wortes.
Das sollten wir nicht weiter zulassen, es behindert auch aktive Politik.
Es führt am Ende dazu, dass wir nur noch mit Liste in der Hand reden und schreiben und am Ende selber nicht mehr wissen, was richtig und falsch ist.
Sprache ist eine Waffe und wir lassen uns immer noch Wörter rauben, wie z.B. das Wort Drohne, ursprünglich von dröhnen abstammend, benutzt für die männliche Arbeitsbiene und nun für Tötungsmaschinen, Spionagemaschinen, unbemannte Waffen, so dass der Töter, der Knöpfe drückt oder per Funk oder PC, gps oder wie auch immer tötet, sich von diesem verbrecherischen Vorgang distanzieren kann. Er hat nichts mehr damit zu tun, in seinem Gefühl.
Wie nennen wir nun die Bienen, die männlichen Arbeitsbienen? Weiter wie eine Tötungsmaschine? Warum wehren wir uns nicht dagegen? Warum lassen wir zu, dass unsere Kinder und Kindeskinder bei Drohnen nicht mehr an Bienen, sondern an Töten denken?
Wir sollten uns unsere Sprache wieder zurück erobern, so nehmen wir auch dem politischen Gegner eine Waffe aus der Hand.
Wir sollten den Begriffen die Ehre, ihre Geschichtlichkeit, ihre ursprüngliche Bedeutung zurück geben, damit manche Wörter wieder so positiv besetzt sind, wie sie es ursprünglich waren.
Es gibt ja in der Tat Wörter, da erschrickt man total, da sieht man den Nazi vor sich.
„Abartig“ ist solch ein Begriff.  Da ich mich im Moment intensiv damit beschäftige, sind Nazibegriffe das, was man ihnen unterstellt, nämlich „böse“?
Und ich stelle fest: Nein, es sind einfach Wörter.
So steht über „abartig“ im Ethymologischen Duden auf Seite 46, linke Spalte, unter „Art“: „…abartig „vom Normalen abweichend, krankhaft“ (17. Jh.);… Also ein sehr altes Wort, viel älter als die Nazis. …Abart „abweichende Art“ 18. Jh., in der Bedeutung „Entartetes“),…
Ich will das jetzt gar nicht weiter fortführen.
Ich meine, es gibt keine „Nazibegriffe“, sondern lediglich Wörter, denen die Nazis eine neue Bedeutung gegeben haben.
Es steht uns aber frei, den Wörtern ihre ursprüngliche Bedeutung zurück zu geben.
Zum Beispiel spricht man in Bezug auf Krebszellen von entarteten Zellen oder entartetem Zellgewebe.
Meiner Meinung darf man nur eins nicht tun, nämlich mit Nazibegriffen in der Nazibedeutung anderes bewerten, als es die Nazis taten und die Nazitaten damit verharmlosen.
Beim Antisemitismus wird das gerne gemacht und das ist abzulehnen.
Besorgt macht mich auch die Diskussion über rassistische Wörter in Büchern und die Überlegung, ob die drin bleiben dürfen.
Ja, wollen wir unsere unrühmlich, verbrecherische, mörderische Vergangenheit denn ganz verschwinden lassen?
Es hat sie gegeben, die industriellen Morde. Würde man alle Bücher nun zensieren, würden wir nicht auf die Sprache achten, damit z.b. Kinder durch Kinderbücher keine rassistischen Wörter lernen, sondern wir würden versuchen Vergangenheit zu verleugnen und das lässt auch keine Erinnerung zu, die immer wachgehalten werden muss.
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