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journalistische Seite von Sofie Stenzhorn

Update 25.01.2023
Dr. Darwig war Oberarzt in der Klösterchen genannten psychosomatischen Abteilung des Marien-Hospitals Bonn.
"Psychosomatik
Bewährte Qualität an neuem Standort
Die  Abteilung für Psychosomatische Medizin und Psychotherapie der GFO Kliniken Bonn ist nun Teil der neuen Fachabteilung für Psychiatrie, Psychosomatik und Psychotherapie der GFO Kliniken Troisdorf."

Anfang November 2020 fand der Umzug statt.
Die bewährte Qualität blieb nicht erhalten, 9 Beschäftigte, die mit nach Troisdorf gegangen waren, mussten sich umstellen.
8 mussten einen neuen Arbeitsplatz suchen, der neunte den Ausbildungsgang ändern, die Psychosomatik existiert nicht mehr. 
Erfahren habe ich das aus zuverlässigen Quellen von auch Betroffenen. 


Bonn, 23.05.2021

Gespräch mit Dr. med. Axel Darwig
Facharzt für Psychosomatische Medizin
Facharzt für Psychiatrie und Psychotherapie
Oberarzt
und
Sofie Lehmann, jetzt Stenzhorn
freie Journalistin


S.K.S.  Dr. Darwig, Gerüchteweise hörte ich, dass die Psychosomatiken mit den Psychiatrien zusammengelegt werden sollen. Ich ging davon aus, dass es neu geplant sei, aber beim Erhalten des Krankenhausplanes durch das Ministerium für Arbeit, Gesundheit, Soziales stellte ich fest, dass dieser Plan schon seit 2015 besteht. Das finde ich erschreckend.

Dr. Darwig: Die Zusammenlegung von Psychiatrie und Psychosomatik birgt erhebliche Gefahren
für die psychosomatische Versorgung.
Bisher gab es in NRW, und im restlichen Deutschland gibt es das immer noch, psychosomatische Akutkliniken wie hier das „Klösterchen“ (Psychosomatik des St. Marien-Hospital Bonn), die sich von den psychiatrischen Kliniken deutlich unterscheiden. In erster Linie durch das Behandlungskonzept.  Viele Patienten, die mit einem bestimmten Krankheitsbild oder Störungsbild in unsere Klinik kommen, erscheinen zum Teil jedenfalls auch in psychiatrischen Kliniken. Die psychosomatischen Kliniken arbeiten vorwiegend psychotherapeutisch, was nicht heißt, dass wir nicht auch medikamentös versorgen, wenn er erforderlich ist.
Die große Gefahr bei einer Zusammenlegung von Psychiatrie und Psychosomatik ist, dass die Psychotherapie vernachlässigt wird, denn es gab schon mal eine Zusammenlegung ausgelöst durch die Psychiatrieenquete 1975. Da gab es eine Dezentralisierung der psychiatrischen Versorgung und ab den 90er Jahren gab es statt der Abteilungen für (nur) Psychiatrie Abteilungen für Psychiatrie und Psychotherapie. Also die Psychotherapie wurde dazu genommen,
Auch die Facharztbezeichnung hat sich entsprechend geändert.
Bis in die 90er Jahre,gab es Fachärzte für Psychiatrie.
Seit Mitte der 90er Jahre heißen sie Fachärzte für Psychiatrie und Psychotherapie.
Die Psychotherapie ist hinzugenommen worden, dafür haben die Psychiater geworben, unter dem Hinweis, das können wir auch.
Ich will nicht abstreiten, dass sie es können, sie machen es aber nicht.
Die Psychotherapie hat in psychiatrischen Kliniken ein völlig stiefmütterliches Dasein. Es wurde ein Psychologe eingestellt, der ein paar Expositionsbehandlungen gemacht hat, das war es dann.
Es gibt natürlich auch für die Zusammenlegung Argumente. Ein Argument ist, dass die Trennung von Psychiatrie und Psychosomatik ein Phänomen ist, das fast nur im deutschsprachigen Raum existiert. Das hat historische Gründe. Nach dem Krieg wollten die Psychotherapeuten, vor allem die Psychoanalytiker, mit den Psychiatern, die sich im zweiten Weltkrieg mit Euthanasiegeschichten die Finger schmutzig gemacht haben, nichts mehr zu tun haben. So hat sich ein separates Fachgebiet entwickelt mit eigenen Behandlungen und eigenen Kliniken. Die ersten Psychosomatischen Kliniken in Deutschland haben nach dem Krieg, Anfang der der 50er Jahre eröffnet. Vorher gab es diese Trennung nicht. Man könnte natürlich sagen, dass 70 Jahre nach Kriegsende das Trennende überwunden sein sollte.
Ein weiteres Argument, das gerne von den Krankenversicherungen vorgetragen wird, sagt dass die Psychotherapie in der Psychosomatik keine Notfallbehandlung sei. Also brauche man dafür keine Akutkrankenhäuser. Es sei ausreichend, wenn die psychosomatisch Kranken ambulant behandelt würden oder stationär in Rehabilitationsmaßnahmen.
Das kann man diskutieren, es gibt aber psychosomatische Krankheitsbilder, die akut sind, und die psychotherapeutisch behandelt werden müssen. Ein langes Warten auf eine Rehabilitationsmaßnahme wäre unzumutbar. Akute Panikstörungen zum Beispiel, die es dem Patienten nicht mehr erlaubt, das Haus zu verlassen, können nicht mehrere Monate auf einen Therapieplatz warten. Ambulante Behandlungen sind meistens zu Beginn einer Erkrankung nicht ausreichend.
Auf einen ambulanten Therapieplatz müssen sie heute, je nach Region in der sie leben, durchschnittlich immer noch drei bis sechs Monate warten, im ländlichen Bereich eher noch länger. Das bedeutet, dass die Psychotherapeutisch-psychosomatischen Behandlungsformen gestärkt werden müssten. Sie müssten personell und mit ihren Einrichtungen in die Lage versetzt werden, Akutbehandlungen ohne Wartezeiten durchführen zu können. Das Gegenteil ist leider der Fall.
Die große Gefahr der Zusammenlegung ist, dass gut funktionierende Psychosomatische Kliniken
zerschlagen werden und die Psychiatrie, wie sie jetzt entstehen soll, die akute Psychotherapiebehandlung nicht anbieten wird. Sie wird, wie gehabt, mit ihren (medikamentösen) Methoden behandeln.

S.K.S. Also ich habe so jetzt interpretiert, dass die Psychiatrie eher Magenschmerzen mit Schmerzmitteln behandelt und die Psychosomatik die Ursache behandelt.

Dr. Darwig: Ja, man sollte ja beides machen. Also, jemand der Kopfschmerzen hat will nicht erst wochenlang über seine Konflikte reden, der will erst mal, dass die Schmerzen weggehen.
Das ist berechtigt. Die Psychotherapie muss sich ja Zeit für die Klärung der Zusammenhänge nehmen. Das braucht Zeit, manchmal sehr viel Zeit, das ist für Gesundheitsökonomen das pure Grauen. Es handelt sich ja oft um chronifizierte Beschwerden, die je nach Auslöser immer wieder akut werden, also rezidivieren, was bei Depressionen oft der Fall ist. Da will man doch mal an die Ursachen, weil die Chronifizierung sonst weiter voranschreitet. Chronische Schmerzen zum Beispiel, die immer wieder auftreten, trotz einer Schmerzmedikation, bedürfen dringend einer psychosomatischen Abklärung und Behandlung. In diesem Spannungsfeld hat die Psychosomatik wertvolle Arbeit geleistet, die durch die Zusammenlegung mit der Psychiatrie und ihren Behandlungsformen in Gefahr gerät.
Die Psychiater der fraglichen Fachgesellschaften hatten in den Augen der Politik die besseren Argumente. Die Psychiater haben den Psychosomatikern vorgeworfen, nur die leichten Fälle behandeln zu wollen und die schweren Fälle den Psychiatern zu überlassen.
Dieses Argument ist nicht einleuchtend, der Vorhalt ist falsch. In psychiatrischen Kliniken gibt man sich nämlich oft damit zufrieden, dass die Erkrankten vermeintlich „leicht“ mit einem Medikament zu behandeln sind. Eine psychodynamische Klärung des Krankheitsgeschehens, wie sie in psychosomatischen Kliniken stattfindet, und die dem Patienten eine Reaktion auf sein Kranksein und damit eine tatsächliche Veränderung ermöglicht, erfordert jedoch ein komplexeres und differenzierteres ärztliches Engagement als für eine anspruchslose medikamentöse Behandlung notwendig ist. Die „leichteren“ Behandlungen dürften daher eher an den psychiatrischen Kliniken stattfinden.
Bei der Zusammenlegung von Psychiatrie und Psychosomatik hat eindeutig die „Mehrheit“ der Psychiater gewonnen. Es gibt viel mehr Psychiater als Psychosomatiker, und die Psychiater haben sich durchgesetzt indem sie sagen, was die Psychosomatiker können, das können wir auch. Wir machen alles unter einem Dach, unter dem Dach der Psychiatrie.

S.K.S. Was schade ist.

Dr. Darwig: Es geht mit Sicherheit etwas verloren. Die Diskussion gibt es schon lange. Ich habe das selbst in Auseinandersetzungen mit den Krankenversicherungen erlebt. Die rechnen ihnen vor: eine Depression wird in der Psychiatrie 25 Tage behandelt und in der Psychosomatik 55 Tage. Dann müssen sie erklären, warum sie mehr als das Doppelte brauchen.

S.K.S. Weil ich danach keine Medikamente brauche?

Dr. Darwig: Weil danach die Wiederaufnahmequote niedriger ist.
Die Psychiatrien haben eine Wiederaufnahmequote von 25%, die Psychosomatik von 2%.
Das ist schon ein Unterschied, auch wenn natürlich noch andere Faktoren eine Rolle spielen.

S.K.S. Vielleicht die Pharmaindustrie

Dr. Darwig: Pharmavertreter kommen hier nicht hin, in der Psychiatrie stehen sie jeden Tag auf der Matte. Pharmavertreter wissen genau, dass eine erfolgreiche Psychotherapie eine medikamentöse Behandlung meistens überflüssig macht.

S.K.S. Das hört sich alles so an… in Psychiatrie wird Gewalt angewendet. In Hamburg ist jetzt vor ein paar Monaten noch einer gestorben durch den Sicherheitsdienst, die haben sich auf ihn gekniet, um ihn zu beruhigen. Der war freiwillig dort hin gegangen, er wollte dann draußen eine Zigarette rauchen und dann sollte er wieder rein und das wollte er erst mal nicht. Er war freiwillig dort hin gegangen, aber dann wurde der Sicherheitsdienst gerufen, die sich auf ihn gekniet haben und er ist dann gestorben er hatte vorher noch eine Spritze erhalten. Es gibt immer noch Gewalt in Psychiatrien.

Dr. Darwig: Gewalt ist ein Problem, mit dem vorwiegend die Psychiatrischen Kliniken zu kämpfen haben. Ich kann mich in unserer Psychosomatischen Klinik in den letzten 20 Jahren tatsächlich an keine einzige gewalttätige Auseinandersetzung erinnern. Meistens gelingt es uns, ein Verständnis für die Aggression der Patienten zu entwickeln. Das wirkt fast wie eine Zauberformel: wer sich verstanden fühlt, wendet kaum noch Gewalt an. Ich gebe aber zu, dass es Zeit benötigt, sich in die aggressiven Gefühle der Patienten einzufühlen. Zeit, die in Psychiatrischen Kliniken häufig nicht zur Verfügung steht.
Auch Psychiater dürfen heute nicht mehr ohne Einwilligung behandeln. Die Zwangsmedikation ist weitgehend abgeschafft, was zu einer anderen Schwierigkeit führt, nämlich dass die Patienten Wochen und Monate unbehandelt in geschlossenen psychiatrischen Einrichtungen eingewiesen sind und nicht behandelt werden können. Das ist eine quälende Situation auf beiden Seiten.
Da geht es um Selbst- oder Fremdgefährdung, meistens um Selbstgefährdung. Es ist gesetzlich geregelt, dass man einen suizidgefährdeten Patienten nicht einfach dem Suizid überlassen darf. Das wäre unrechtmäßig, sogar strafbar. Auch darüber könnte man diskutieren: Warum soll sich einer nicht umbringen, der sich umbringen will? Aber meistens sind Suizidimpulse unter dem Einfluss einer Krankheit zu sehen. Es gibt auch den sogenannten Bilanzsuizid, der ist selten und der wird erst gar nicht in der Klinik auftauchen, sondern der wird sich die entsprechenden Möglichkeiten erschließen.

S.K.S. Ich bin gegen Sterbehilfe.

Dr. Darwig: Ich bin auch dagegen, weil das eine andere große Schwierigkeit mit sich bringt, denn wenn ein Patient sich nicht mehr 100%ig sicher sein kann, dass alles für seine Gesundheit, seine Genesung und Linderung getan wird, dann entwickelt sich Misstrauen. Dann könnte der Patient die Befürchtung entwickeln, dass der Arzt ein „sozialverträgliches Frühableben“ einleiten könnte, weil der Patient alt und krank (und kostenintensiv) sein könnte. Dann könnten Dämme brechen. Deswegen ist in Deutschland die aktive Sterbehilfe ausgeschlossen. Passive Sterbehilfe ist erlaubt. Man muss irgendwann mal Maschinen abschalten dürfen, wenn jemand jahrelang im Siechtum, ohne Bewusstsein nur noch Qualen erleidet. Das ist natürlich unmenschlich. - Aber schon in den Niederlanden ist das anders, in der Schweiz auch.

S.K.S. Mir hat mal ein Arzt, mit dem ich befreundet war, gesagt, dass sie schon, das war Mitte der 80er Jahre, wenn Menschen todkrank sind und überhaupt keine Hoffnung mehr besteht, dass sie dann die Ernährung abstellen. Dass es irgendwann einfach zu Ende geht.

Dr. Darwig: Ja, sehr alte und demente Menschen stellen tatsächlich oft die Nahrungsaufnahme ein. Das sollte respektiert werden. Es hat nichts mit Verhungern oder verdursten zu tun, wie ein jüngerer und gesunder Mensch es sich vorstellt.

S.K.S. Jetzt sind wir ganz von der Psychosomatik abgekommen.

Dr. Darwig: Ja, die Frage ist, ob es in den anderen Bundesländern nach und nach auch zu einer Zusammenlegung von Psychiatrie und Psychosomatik kommen wird. Ich fürchte, dass wir in 20 oder 30 Jahren keine selbstständigen Psychosomatischen Akut-Kliniken mehr kennen. Die Psychosomatik  wird nur noch als Teil, ich füge ausdrücklich hinzu: als vernachlässigter Teil der Psychiatrie existieren, und noch als Reha-Maßnahme. Und sogar der Facharzt für Psychosomatische Medizin könnte verschwinden. Vielleicht bleibt ein „Allround-Facharzt“ für Psychiatrie, Psychosomatik und Psychotherapie übrig. Das ist eine merkwürdige Entwicklung. Während in der gesamten Medizin die Entwicklung zu einer immer weiteren Differenzierung und Spezialisierung geht, findet in den Psych-Fächern genau das Gegenteil statt, nämlich eine Verallgemeinerung und Entdifferenzierung.
Diese Entwicklung kann ich z.B. als Prüfer bei der Ärztekammer  beobachten. Ich prüfe den Facharzt für Psychiatrie und Psychotherapie und ich prüfe natürlich auch die Psychotherapie. Während die meisten sich in der Psychiatrie noch leidlich auskennen, gibt es in der Psychotherapie erhebliche Lücken. Die Psychotherapie wird von den Psychiatern einfach nicht ausreichend vermittelt und den Psychosomatikern will man diese Aufgabe jetzt nehmen. Man muss sich vor Augen führen, dass die Psychiater die Psychotherapie mit den Kassen nach dem Erwerb des Facharztes abrechnen dürfen, auch ohne die entsprechenden Kenntnisse. Und da es diese Lücken in der ärztlichen Psychotherapie gibt, drängen andere in diese Lücken, z.B. die Psychologen. Auf einen einzigen Arzt, den wir in der Psychosomatik haben, kommen bis zu 15 Psychologen, die in diese Lücke hineindrängen, die von den Ärzten sträflich vernachlässigt wird.

S.K.S. Sie meinen die Psychologischen Psychotherapeuten …

Dr. Darwig: Genau, das sind die psychologischen Psychotherapeuten, die bilden wir hier auch aus, übrigens 90% sind Frauen, die Psychotherapie ist weiblich.

S.K.S.  Und das Gespräch mit Ihnen darf ich veröffentlichen?

Dr. Darwig: Ja, das können Sie.

S.K.S.  Herr Dr. Darwig, vielen Dank für das Gespräch.


 
 
 
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